VEDRAN - Eine Osijeker Chronik


[Falsche Einschätzung der Strapazierfähigkeit des Humors]

- Es heißt, dass im Frühjahr 2006 der Ruf Za dom – spremni! unter Osijeker Studenten einen unerwarteten Prestigegewinn erhalten habe, können Sie das bestätigen?
- Das mag irritieren, aber in der Tat war diese Parole eine gewisse Zeit häufig zu hören. Man sollte das jedoch nicht überschätzen.
- Dieser Ruf, in etwa mit: Für die Heimat – bereit! übersetzbar, ist eigentlich eine Jahrzehnte alte, rechtsnationalistische Parole, die heute von kroatischen Neofaschisten verwendet wird, weil sie auf den faschistischen Ustaša-Staat 1941-45 verweist. Wie erklären Sie sich deren Popularität unter den Studenten?
- Indem es ausschließlich um Sex geht, was könnte attraktiver sein für Jugendliche?
- Entschuldigen Sie?

Der Ruf Za dom – spremni! stammt ursprünglich aus dem 19. Jahrhundert, der Bewegung kroatischer Nationalisten von Josip Jelačić zugeschrieben, übernahm die faschistische Ustaša Ante Pavelićs diesen Gruß inklusive dem erhobenen rechten Arm als Erkennungszeichen – in kroatischer Entsprechung zu „Sieg Heil“. Die Ustaša ebenso wie die nationalistische Partei HSP, die Partei des Rechts von Ante Starčević, als deren militanter Arm die Ustaša sich 1929 abgespalten hatte, existierten während Titos Jugoslawien nicht, da der Bund der Kommunisten Jugoslawiens einzige Partei war. Erst 1990 formierte sich die HSP neu, die Ustaša hingegen blieb verboten. Während des domovinski rat (die Jugoslawien-Kriege 1991-95) jedoch kämpften auf kroatischer Seite nicht nur Milizen der Hrvatske Obrambene Snage (Kroatische Verteidungsarmee, HOS), sondern auch Einheiten, die sich in Kleidung und Symbolen auf die 1944 als Schwarze Legion entwickelte Ustaša-Miliz Hrvatske Oružane Snage (Kroatische Streitkräfte, ebenfalls HOS) beriefen. Ustaša-Symbole existieren nach Ende des Krieges weiter, der Ruf Za dom – spremni!, gelegentlich als ZDS abgekürzt, gilt als Gruß unter Neofaschisten in Kroatien.
- Das Ganze beruht auf einem Wortwitz und einem Ereignis, das nichts mit den Ideologien rechtsnationalistischer Verbände gemein hat. Das Wort dom ist in südslawischen Sprachen doppeldeutig und meint sowohl Heimat als auch nur Heim, ein Gebäude (wohingegen Haus im Serbokroatischen ein eigenes Wort ist). Im sehr warmen Frühling des Jahres 2006 wurden in Osijek einem Dutzend Studenten von der Leitung ihres Wohnheims der Aufenthalt gekündigt, weil sie massiv gegen die Heimordnung verstoßen hatten. In relativer Enge des sozialistischen Plattenbaus lebend, trafen sich diese und andere Studenten zu abendlichen Feiern mal bei diesem oder bei jenem in den kleinen Wohnungen, vergnügten sich bei Alkohol, Cannabis und Videofilmen, aufgrund des Wetters nicht allzu umfangreich bekleidet. Die erblühende Jugend und die lebendige Frühlingsluft taten ein Übriges und die Studenten begannen, im tatsächlichen Wortsinn aufeinanderzuhocken. Nach einigen derartigen Abenden, die sich akustisch im kaum schalldichten Haus verbreiteten, wurden sie schließlich beim Vollzug gemeinschaftlicher Kopulation von der Heimleitung entdeckt und diese warf die unzüchtigen Studenten kurzerhand raus, um den Ruf des Heimes und der Osijeker Studentenschaft insgesamt zu wahren.
- Überbordender Genuss der eigenen Sexualität, zumal außerehelich, gilt in vielen Gesellschaften als Skandalon, so auch im sich grundsätzlich als katholisch-traditionell begreifenden Kroatien?
- Viele Jugendliche leben ihr Leben lang mit einem einzigen Partner, Erfahrungen im Umgang mit dem eigenen Körper bleiben auf diese Partnerschaft, die recht früh durch eine Heirat gesichert wird, beschränkt, manche jungen Menschen verbergen außereheliche sexuelle Kontakte und Beziehungen vor Eltern und Freunden aus Furcht vor Skandalen. Der Sexualtrieb macht erfinderisch im Eröffnen von Freiräumen. Gegenüber der Festung existiert ein öffentlicher Parkplatz, der als wichtigster Verbrauchermarkt von Kondomen in der Stadt gilt.
- Hätten die Studenten zu einer kühleren Jahreszeit ihre Wohnungen behalten können?
- Sehr wahrscheinlich wären die studentischen Treffen anders verlaufen. Der Einfluss des Wetters auf menschliche Biografien wird außerordentlich unterschätzt.
- Was geschah als nächstes?
- Teile der Osijeker Studentenschaft solidarisierten sich mit den öffentlich Geächteten, die als Leidensgenossen begriffen wurden, und versuchten, für eine sexuelle Auflockerung innerhalb der Studentenschaft und der Gesellschaft allgemein zu werben, in dem sie untereinander die bekannte nationalistische Parole aufgriff und verballhornte: Spremni si? – Za dom! : Bist du bereit? – Auf ins Studentenheim!
- Wie wurde dies verstanden?
- Der subversiv gemeinte Protest auch gegen den organisierten Neofaschismus in Osijek war nicht von langer Lebensdauer.
- Ein grundsätzlich gesellschaftliches Missverständnis?
- Eine kapital falsche Einschätzung der Strapazierfähigkeit des Humors hierzulande.




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© sascha preiß 2008