VEDRAN - Eine Osijeker Chronik


[Tomislav denkt sich was aus]

Tomislav war sehr klug. Er konnte sich jede Menge Dinge ausdenken. Er konnte sie ausdenken und wieder ausdenken. Auch wegdenken konnte Tomislav hervorragend. So saßen ein ganz alter Freund und er bei ihm zu Hause am Fluss und tranken Šljivovica, wozu sie Musik hörten. Plötzlich war das Licht weg. „Das hast du doch wieder ausgedacht!“, schrie der Freund unüberlegt und haute Tomislav eine runter. Er ist dann gegangen. Offenbar hatte er auch seine Freundschaft ausgedacht. Das tat ihm sehr leid. Tomislav probierte es mit einem großen Andenken, sie wiederzubeleben. Aber offensichtlich war er dazu nicht in der Lage; sein Freund blieb ausgedacht wie das Licht.

Sowas passierte Tomislav dann häufig. Er dachte sich etwas aus und wenn er zu viel daran dachte, war es auch schon wieder weg. „Das ist doch ausgedacht!“, sagte er sich. Die Dinge zerplatzten wie Seifenblasen, er brauchte bloß an sie zu denken. Sein Teddybär – plopp; seine Modelleisenbahn – plopp; die Brücke über die Neretva, Jugoslawien, die serbokroatische Sprache – plopp, plopp, plopp. Dinge und Orte verschwanden, weil Tomislav sie ausdachte. Er wurde immer nachdenklicher. Verfiel notgedrungen in Schweigen. Bis er es nicht mehr aushielt und endlich die Idee hatte, alles wegzudenken und noch einmal von vorn zu beginnen.

Nach sechs Tagen war er mit dem Ausdenken fertig, setzte sich einen ganzen Tag ruhig hin und überlegte. Das Beste wäre, dachte Tomislav, wenn ich selbst auch ausgedacht wäre.
So geschah es.




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© sascha preiß 2008