VEDRAN - Eine Osijeker Chronik


[Tomislav geht auf Flaggenfang]

Tomislav ist wieder unterwegs. Er hat sich entschieden, das Gesetz zu vertreten. Das Gesetz sagt, es gibt nichts außer dem Gesetz, außer man wird dafür bezahlt. Bezahlt wird man, wenn man das Gesetz vertritt. Tomislav braucht das Gesetz, um es zu vertreten. Außerdem braucht er das Geld. Über Gesetze geht gar nichts im Leben. Über Tomislav ab jetzt sehr viel. Über Geld spricht man nicht. Gesetz Nummer eins.

Tomislav mag es, Flaggen zu fangen. Flaggen, die nicht hier her gehören; Flaggen, die hier falsch sind. Falsche Flaggen haben in seinem Land nichts zu suchen. Falsche Flaggen machen falsche Länder. Wer eine falsche Flagge aufhängt, befindet sich im falschen Land. Da das Land von Tomislav nicht falsch sein kann, muss die Flagge falsch sein. Gesetz Nummer zwei.

Eine Frau aus Donji Miholjac hängte am 15.01.2007 zum 15jährigen Jubiläum der internationalen Anerkennung der Unabhängigkeit des kroatischen Staates die kroatische Flagge aus dem Fenster. Da die Unabhängigkeit Kroatiens durch den damaligen deutschen Außenminister H. D. Genscher entschieden befürwortet wurde, was zur internationalen Anerkennung der kroatischen Unabhängigkeit von Jugoslawien führte, hängte sie in Anerkennung der Taten des deutschen Außenministers ebenfalls die deutsche Flagge aus dem Fenster. Die Nachbarin der Frau rief daraufhin die Polizei, sie fühle sich durch die öffentliche Darstellung deutscher Staatssymbole belästigt. Der eintreffende Schutzmann gebot der Frau, die deutsche Flagge zu entfernen. Was sie auch tat. Allerdings wurde ihr das Ordnungsstrafgeld von 500 Kuna (ca 70 Euro) von polizeilicher Seite erlassen, da der Polizist eigentlich gegen die deutsche Flagge nichts einzuwenden hatte. Schließlich sei ja mit der deutschen Flagge das Bekenntnis zu einem befreundeten Staat öffentlich gemacht worden, was nur halb eine Ordnungswidrigkeit darstelle.

- Ein fast schon salomonisches Urteil des Gesetzeshüters. Eine solche Verordnung existiert in einem sich als demokratisch verstehenden Land tatsächlich?
- Das öffentliche Präsentieren nichtkroatischer Staatssymbole und -flaggen ist in Kroatien in der Tat per Gesetz eine Ordnungswidrigkeit, die mit besagtem Bußgeld geahndet werden kann. Vergleichbar mit Falschparken oder Überquerung einer roten Ampel. Ausnahmen betreffen lediglich die Gebäude und Grundstücke ausländischer Vertretungen, da diese jeweiliges ausländisches Hoheitsgebiet sind, und sportliche Großveranstaltungen wie Fußball-Länderspiele.
- Eine gastronomisch wertlose kroatische Spezialität?
- Mitnichten. Die Verordnung ist ein Überrest jugoslawischer Verordnungen, die bislang nicht außer Kraft gesetzt wurde. Unter Tito stellten nichtjugoslawische Staatssymbole eine Störung der öffentlichen Ordnung dar.
- Ein skurriler Angriff auf die Meinungsfreiheit der Bürger?
- Falls der kroatische Staat eine Gefährdung seines Selbstverständnisses darin sieht, anderer Staaten Symbole im öffentlichen Raum präsentiert zu finden, kann man das so auffassen. Man kann es aber auch als nützliches Vehikel zur Verhinderung provokativer Akte begreifen: Stellen Sie sich etwaige Reaktionen vor, sollten in der Gegend um Vukovar serbische Flaggen zu sehen sein. Diese Gegend ist auch so schon mit den Kriegsfolgen überlastet.
- Was ist mit Symbolen ethnischer Minderheiten, sind diese ebenfalls im öffentlichen Raum konfiszierbar?
- Sofern die Minderheiten inclusive ihrer Symbole staatlich anerkannt sind, dürfen sie als Bestandteil des kroatischen Staates im öffentlichen Raum nicht beanstandet werden.
- Der Anteil veralteter jugoslawischer Verordnungen ist noch immer hoch?
- Manche sind verschwunden, manche werden ignoriert, einige jedoch befolgt. Das Verbot des Fotografierens staatlicher Ordnungsorgane etwa, was nicht unbedingt verwundert. In keinem Bildband Kroatiens existiert eine Abbildung, die selbst zufällig einen Polizisten erkennbar zeigt.
- Wäre das ein ansprechendes Motiv?
- Ästhetische Fragen stellen keine Grundlage für polizeiliche Verordnungen dar.
- Glücklicherweise.

Tomislav hat heute Abend noch keinen Fang gemacht. Mit Wehmut denkt er an die Eröffnung des mexikanischen Restaurants vor vier Jahren zurück. Sieben zu Unrecht sichtbare Flaggen Mexicos. Und pro Flagge ein verhängtes Ordnungsgeld. Das Restaurant ging zwei Jahre später pleite. Tomislav war ein gern gesehener Gast. Einmal monatlich ein Ordnungsgeld á 500,- Kuna für das Restaurant, zehn monatliche Restaurantbesuche von Tomislav á ca 50,- Kuna, macht summa summarum ca 0,- Kuna für beide Seiten. Unschätzbar hingegen das allgemeine Glück: ein nicht arbeitsloser Ordnungshüter - ein zehnfacher Kunde fürs Restaurant. Und eine intakte Staatswirtschaft. Warum die Leute nur den Wert gesellschaftlicher Errungenschaften nicht mehr zu schätzen wissen? Tomislav sucht in den Kontakten seines Handys nach schüchternen Kneipenbesitzern, denen er nahelegen könnte, hin und wieder Fremdflagge zu zeigen.

- Schüchterne Kneipenbesitzer?
- Genauso gut könnte er sich auch auf die Suche nach blinden Stummfilmkinobetreibern machen, denen er eine uruguayanische Flagge unterjubelt.
- An derartigem Sinn für Humor scheint es ihm zu mangeln.
- Unglücklicherweise.




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© sascha preiß 2008