VEDRAN - Eine Osijeker Chronik


[Tomislav und das Geisterhaus]

Das Haus hat drei Etagen. Tomislav wohnt in der Mitte. Manchmal hört er in seiner Wohnung Musik, die nicht seine ist. Meist ist es aber so: Von unten hört er Klopfgeräusche (nachts wenn er zu laut war), von oben hört er Schritte (tags wenn er zu leise ist). Öffnet Tomislav die Wohnungstür, ist nie jemand zu sehen.
Lediglich zwei Katzen. Die sitzen herum oder verstecken sich. Die eine guckt faul und thront auf dem Fußabtreter. Die andere rennt weg und lugt ängstlich um Ecken. An Menschen in diesem Haus kann sich Tomislav nicht erinnern.

- Oh, der Versuch einer Edgar Allan Poesie. Sehr ehrenwert.
- Seit wann interessieren Sie sich für Gothic Novels?
- Ich erwog, darüber meine Magisterarbeit zu schreiben.
- Sie sind Romantiker?
- Schrecklich, nicht wahr?

Tomislav hält die Fenster seiner Wohnung stets geöffnet. Er mag den Tanz der Gardinen im Durchzug. Das erinnert ihn an alte Gruselfilme. Er denkt, dass hinter den Gardinen jemand hervortreten könnte. Den oder die würde er mit Kaffee und Kuchen empfangen. Und über alte Filme plaudern.
Manchmal sind die Fenster in seiner Wohnung fest verschlossen. Tomislav fragt sich, welche Katze das gewesen sein könnte.

Während der Dreharbeiten an der Oravský Hrad / Slowakei zu Friedrich Wilhelm Murnaus Film Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens tauchte mehrere Tage hintereinander eine Katze am Filmset auf und verzögerte die Dreharbeiten. Das Tier rannte immer wieder ins Bild und reagierte außerordentlich aggressiv auf den Schauspieler Max Schreck. Ein Grund für ihr Auftauchen schien anfänglich nicht gegeben. Murnau und sein Team hatten Schwierigkeiten, die Katze zu vertreiben. Man überlegte, ob sie nicht sogar als animalisches Element in den Film zu integrieren sei. Murnau verbot jedoch jede Änderung seiner filmischen Vision. Schließlich entdeckte ein Veterinär den Grund für das Verhalten des Tiers: Schreck, selber Katzenbesitzer, reizte durch den Geruch seines eigenen Katers, der an ihm haftete, das aufdringliche Tier, welches sein Territorium gegen den Eindringling verteidigte. Die Katze war den Umgang mit Menschen in der unbewohnten Burg nicht gewohnt und verwechselte im Schauspieler die Gattung der Lebewesen. Erst nachdem der Schauspieler seinen Kater an den Drehort brachte, entspannte sich die Situation: Die Katze erkannte ihren Irrtum, wandte sich vom Schauspieler ab und dem wahren Kater zu, nun außerhalb der Kameras.

Tomislav gibt den Tieren Namen. Die thronende fette Katze nennt er Mirela, das klingt nach Mirakel. Die furchtsame schmächtige nennt er Dževad, das klingt nach Tempo, nur in einer anderen Sprache.

- Irrt sich Tomislav ebenfalls in den Gattungen der Lebewesen?
- Wie das?
- Indem er ihnen namentlich Bedeutung bemisst, die sie womöglich nicht besitzen.
- In diesem Fall würde er die Lebewesen mit seiner Einbildung verwechseln. Was weitreichendere Konsequenzen hätte.
- Ein romantischer Irrtum.

Neulich ist Post gekommen. Die Steuerabrechnung. Tomislav erhält eine umfangreiche Rückzahlung. Nun fragt er sich, wie er dies mit den beiden Tieren in Verbindung bringen soll.
Verstehen Sie das?, fragt er einen Passanten. Ich habe zwei Katzen im Haus, bekomme Steuergelder zurück, außerdem schließt jemand in meiner Abwesenheit die Fenster! Der Passant geht eilig weiter.
Tomislav ist sich sicher, dass etwas nicht stimmt.

- Diesen letzten Punkt kann ich nachvollziehen.
- Ich halte das alles für etwas überzogen.




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© sascha preiß 2008