VEDRAN - Eine Osijeker Chronik


[Tomislav verlässt ein Konzert]

Tomislav und sein bester Freund Jovan sind in die nicht sehr nahe gelegene Hauptstadt gefahren. Das allein genügt, um beide bereits in den Zustand des Geplagt seins zu versetzen. Etwas Unaufregenderes und Kräftezehrenderes ist für beide schlechterdings nicht vorstellbar. Die Hauptstadt ist ein Ort voller historischer Gebäude mit nur einer wirklich wichtigen historischen Begebenheit:

Auf dem Trg Jelačića, dem zentralen Platz Zagrebs, steht seit 1990 eine Reiterstatue des Hauptmann Jelačić, der im 19. Jahrhundert gegen die von Norden einfallenden Ungarn kämpfte und diese schwer dezimierte. Diese Reiterstatue wurde nach der Gründung des serbisch-kroatisch-slowenischen Königreiches Anfang des 20. Jahrhundert errichtet. Ein Nachzügler nationaler Symbolik, da derartige Reiterstandbilder im Europa des ausgehenden 19. Jahrhundert beinahe flächendeckend errichtet worden waren, z.T. stellte man vollkommen identische Statuen auf, die mit differierenden Namen versehen worden waren. Alle Standbilder einigte die allzu strenge identitätsstiftende Komponente des Kampfes eines Staates gegen einen anderen, zudem zeigen sämtliche Reiterstandbilder Personen mit in Angriffsrichtung ausgestreckten Säbeln. Das Zagreber Standbild zeigte notwendigerweise gen Norden, direkt auf eine Häuserfront, hinter der sich nach ideologisch-geografischem Blickwinkel schließlich das habsburgische Ungarn verbarg. Während Titos Jugoslawien verschwand das Standbild, schließlich lag mit Ungarn nun ein befreundetes Land hinter den Häusern. Die 1991 ausgerufene und eilig durch u.a. Deutschland anerkannte staatliche Unabhängigkeit Kroatiens dynamisierte die Entwicklungen, die außerordentlich blutig im jugoslawischen Bürgerkrieg (domovinsko rat) kulminierten. Nun rief Serbien in der Region um den Fluss Sava, im bosnischen Norden und südlichen Zentralkroatien, die nie anerkannte und stets heftig kritisierte Republik Serbische Krajna aus. Kroatien konnte 1995 diese Gebiete ebenfalls sehr blutig, doch ohne jeden internationalen Einspruch zurückerobern. Seit dieser Zeit weist der angriffslustige Säbel des vom damaligen kroatischen Präsidenten F. Tuđman wiedererrichteten Standbildes Jelačićs gen Süden, in Richtung der Serbischen Republik in Bosnien/Herzegowina.

Tomislav und Jovan tanzen frohgemut unter dem in den Abendhimmel stechenden Säbel eines alten Generals hindurch. Anschließend besuchen sie ebenso frohgemut ein Konzert einer ausländischen bekannten Rockband und fühlen sich wohl. Tomislav ist nachher genötigt, ein neues T-Shirt zu kaufen, da sich sein altes im Tanzschweiß aufgelöst hat. "Keep on rockin' in the free world" singen die ausländischen Bühnenhelden das ewig optimistische Lied eines anderen Bühnenhelden. 9000 Menschen singen optmistisch mit.
Im gemütlichen Abendhauch trinken Tomislav und Jovan anschließend wie alle anderen Konzertgäste etwas kühles Bier und plaudern. Auf dem Platz vor der Konzerthalle wird gelacht, die Lieder noch einmal gesungen, getrunken, weitergetanzt, weitergeschwitzt. Tomislav und Jovan ist es behaglich zumute.
Einigen Hütern der staatlichen Ordnung jedoch nicht. Zwei Dutzend dieser Lebewesen mahnen zu zivilem Verhalten, das darin besteht, augenblicklich und geräuschlos nach Hause zu gehen.

- Aufregend, dass öffentliche Plätze nur solange als öffentlich gelten, solange sich niemand auf ihnen befindet. Alles andere scheint in manchen Augen eine unangemeldete Demonstration zu sein.
- Aufregend ebenso, dass vor dieser Art real existierender Öffentlichkeit ein gewisses Angstpotential zu bestehen scheint.
- Die jungen Leute folgten der Aufforderung?
- Ihnen wurde keine Alternative gelassen.

Tomislav und Jovan verließen die Stadt umgehend. Sie hatten den unstillbaren Drang, überall Reiterstandbilder zu errichten. Eines Tages, wussten sie, würden sie ihre Vision umgesetzt haben.




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© sascha preiß 2008