VEDRAN - Eine Osijeker Chronik


[Tomislav verliebt sich ins Licht]

Tomislav hat es nicht eilig. Wenigstens nicht oft. Vor allem aber nachts nicht. Auf dem Heimweg. Heimwege sind Wege, für die Tomislav sehr viel Zeit ausgeben kann. Zeit ist kein Geld. Tomislav sucht sich irgendeinen Wochentag aus, an dem er nachts nach Hause läuft. Wenn niemand unterwegs ist. Nur die Ampelmännchen und er. Die sind immer unterwegs. Und die grünen haben es eilig. Den roten ist das Eiligsein egal. Die haben Zeit. Ist ja eh niemand unterwegs. Dass sich rote und grüne Männchen immer verpassen, weil sie nie gemeinsam unterwegs sind, ist etwas, was Tomislav als tragisch bezeichnen würde. Einmal hat Tomislav Farben und Zeit verwechselt. Dann wurde aus Zeit Geld. Da erschien ihm ein streng blau gekleidetes Männchen und verlangte Geld, weil Tomislav es so eilig wie das grüne Männchen hatte, aber nur das rote hatte geleuchtet.

- Was eigentlich soll diese quasi-poetische Sprache im Bezug auf Fußgängerampeln?
- Den Alltag im leicht poetischen Gewand des Naiven zu ertragen, zeugt von Charakter.
- Ein naiver Charakter ist kein poetisches Ereignis.
- Wissen Sie sich anders zu helfen, wenn Sie nachts auf menschenleerer Straße wegen rechtswidriger Überquerung einer roten Ampel zu Bußgeldzahlung polizeilich aufgefordert werden?
- Das adäquate Heilmittel gegen Idiotie ist Naivität?
- Das adäquate Mittel gegen Ordnung ist Poesie.
- Was tut man gegen pathetische Anfälle wie Ihren?

Tomislav gelang es, in langen ausgeklügelten Monologen die Zeit-ist-Geld-Wahrheit des Polizisten zu widerlegen: er hatte einfach keinerlei Bargeld bei sich. Der am Reißbrett des Regelglückes ausgebildete Unifomierte jedoch zuckte mit keiner Wimper. Ein Abend in seiner Obhut bot er Tomislav an. Das roch nicht gemütlich. Tomislav hatte es allmählich etwas eiliger. Also besah er sich die unnachgiebige Miene des Ordnungsmenschen genauer. Ein Männchen, das davon lebt, farblos zu sein und Zeit zu haben, wenn er andere in Hektik versetzen kann. Tomislav fand urplötzlich Geld in der exakten Höhe. Dem regelrechten Männchen gelang ein Lächeln. Tomislav verlangte eine Quittung. Dann fror das Lächeln und fiel klimpernd zu Boden.
Der Polizist stieg in seinen Wagen und fuhr arm davon.

Dass in der Relativitätstheorie Einsteins (und auch in ihrer Weiterentwicklung durch Heisenberg) Licht eine Größe ist, die selbst relativ ist und mit ihr der Raum, durch den es sich bewegt, ist in ihren vollständigen Auswirkungen auf das real existierende Leben bislang noch nicht untersucht worden. Nicht allein, dass sich durch die Geschwindigkeiten und Zusammensetzungen der lichtreflektierenden Körper die Farbwahrnehmung des reflektierten Lichtes ändert, ja sogar durch die Geschwindigkeiten der Körper zueinander ändern sich die Wahrnehmungen und das Raumempfinden. In verändertem Raumempfinden ändern sich notwendigerweise auch die Tätigkeiten. Und da die Krümmung des Raumes in erster Linie eine Krümmung des Lichtes und damit der Zeit ist, verändert sich - nach Adam Riese - auch die Krümmung des Geldes. Allerdings in umgekehrter Richtung. Während sich Raum proportional zum Licht und zur Zeit ausdehnt, dehnt sich Geld negativ proportional aus, nimmt also bei hohen Geschwindigkeiten ab.
Ein Phänomen, dass sich insbesondere im Alltag immer wieder beobachten lässt.

Tomislav stand mit seinem Geld lange Zeit zwischen dem roten und grünen Licht der Männchen, blickte in die Ferne und verliebte sich in beide.

- Hat das etwas zu bedeuten?
- Gewiss.




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© sascha preiß 2008