VEDRAN - Eine Osijeker Chronik


[Unvereinbar]

Die Abstammung eines Menschen lässt sich oftmals allein schon aufgrund des Namens bestimmen. Die in Exjugoslawien weit verbreitete, weich auslautende Namensendung -ić/-ović kann ein Indiz für eine serbische Abstammung sein, etwa Djordjević oder Cvetković, hart auslautende Namen verraten hingegen meist eine kroatische Herkunft, etwa Opačak oder Stakor. Da im Laufe der Jahrhunderte und Staatengebilde des Balkans sich Menschen und deren Namen von ihren Herkünften lösten (sofern sie überhaupt je sehr fest an ihnen geklebt hatten), sind allerdings Familiennamen keine sichere Quelle für die Herkunftsbestimmung. Erhalten geblieben ist statt dessen die starke Trennung bei einigen Vornamen: Ein Junge, der den Namen Jovan trägt, gilt automatisch als Kind serbischer Eltern, was er in den überwiegenden Fällen auch ist. Die kroatische Entsprechung lautet Ivan, für Mädchen Ivana. Ein deutlich serbischer Frauenname ist dagegen Jelena.1 In Serbien findet sich dafür etwa der Name des kroatischen Königs Tomislav selten, der eindeutige Name in Anlehnung an einen berühmten serbischen König heißt Đorđe.

Die im Seminarraum umherschweifenden Augen eines jungen Studenten aus Osijek (kyrillisch: Осек, sprich: Ossek), der sich erst kürzlich für ein linguistisches Studium eingeschrieben hatte, trafen die Augen einer am anderen Ende sitzenden jungen Studentin. Vom Inhalt der Seminarsitung mochten beide nicht mehr viel erinnern, als sie sich nach 90 langen Minuten vor der Tür trafen und ausgiebig betrachten konnten. Da sie kaum Zeit und Raum zur Unterhaltung fanden, denn der Studienplan erlaubte nicht viel Freizeit, verabredeten sie sich kurzerhand zu einem Kaffee für den Ausklang des Tages, für den Beginn des Abends würde man dann weitersehen. Wenige Stunden später, der junge Mann saß bereits an einem Tisch, setzte sich die junge Frau ihm gegenüber, beobachtete interessiert, wie er für sie und ihn Kaffee bestellte und ihr zuzwinkerte. Während beide auf das Getränk warteten, fragte sie nach seinem Namen. Jovan, antwortete der junge Mann. Nach einer kurzen Sekunde, in der ihre Augen auf seinem schönen Gesicht erstarrten, erhob sich die junge Frau wortlos und ging.

Er hatte ihren Namen noch nicht erfahren, aber das war auch nicht so wichtig.




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1) Im südslawischen Sprachraum (ohne Slowenien) entwickelten sich die heute vorhandenen Sprachvarianten, die heute als Nationalsprachen behauptet werden, mehrheitlich im 19. Jahrhundert. Das Kroatische, Bosnische und auch die Variante des in Mazedonien gesprochenen Serbisch beruhen auf einer štokavisch-ijekavischen Dialektform des Südslawischen (ehedem: Serbokroatisch). Das heute in Serbien gesprochene Serbisch beruht auf einem ekavischen Dialekt. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal dieser Dialekte ist die Aussprache des altkirchensprachlichen Lautes (Jat). Im ijekavischen Dialekt wird als -ije- gesprochen, im ekavischen entsprechend als kurzes -e-, z.B. weiß: kroatisch: bijeli; serbisch: beli. Zudem ist das Serbische stark vom Russischen beeinflusst, aus dem die Jotierung von Vokalen (Jovan, Jelena) übernommen wurde. Dies ist im Kroatischen unbekannt.

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© sascha preiß 2008